bookmark_borderEva García Sáenz: Die Herren der Zeit

Dass Kriminalplot und historischer Roman ein durchaus harmonisches und spannungsreiches literarisches Ensemble bilden können, hat zuletzt der Schwede Natt och Dag mit seinem Stockholmroman 1793 gezeigt, von dem kürzlich auch eine Fortsetzung (1794) erschienen ist (vgl. Rezension vom 22.5.2020). Die spanische Autorin Eva García Sáenz wagt sich für den Abschluss ihrer in der Stadt Vitoria spielenden Krimitrilogie, in deren Mittelpunkt der Profiler – und Ich-Erzähler – Unai Lopez de Ayala alias „Kraken“ steht, ebenfalls an eine – allerdings ganz anders geartete – Mischform von Historien- und Kriminalroman.

Die Stadt Vitoria und ihr baskisches Umland mit ihrer tief ins Mittelalter zurückreichenden Geschichte bildeten auch in den ersten beiden Teilen den geschichtsträchtigen und mit lokalen Mythen und Ritualen aufgeladenen, aber stets klar in der Gegenwart verankerten Schauplatz. Mit dem letzten Teil ist nun jedoch ein regelrechtes Hybrid entstanden, in dem zwei verschiedene zeitliche Ebenen parallel geführt werden, so dass man sich als Leser erst ein wenig irritiert, bald aber ziemlich gefesselt und am Schluss atemlos zwischen der tragischen Geschichte der Belagerung der Stadt am Übergang vom 12. ins 13. Jahrhundert und den laufenden Mordermittlungen im heutigen Vitoria hin und herlenken lässt. Es ist fast, als läse man zwei Bücher gleichzeitig, ein Eindruck, den die Autorin durch eine mise en abyme zusätzlich verstärkt: Im Zentrum der Gegenwartshandlung steht nämlich ein historischer Roman, der denselben Titel trägt wie Sáenz‘ Roman, „Die Herren der Zeit“, mit dessen Lektüre sich auch die Romanfiguren befassen und in dessen mysteriöser Entstehungsgeschichte Ayala den Schlüssel zu einer beunruhigenden Mordserie vermutet, die seine Stadt in Schrecken versetzt. Denn für die ziemlich grausamen mittelalterlichen Tötungsarten, die an den gegenwärtigen Opfern verübt werden, scheint sich der Mörder ziemlich genau an der Geschichte des historischen Romans zu orientieren. Oder ist das alles nur eine wilde Mutmaßung des auch familiär unter Druck stehenden Ayala, dem im Laufe der turbulenten, wahrhaft dramatischen Ermittlungen auf schmerzhafte Weise klar wird, dass er mit seinem unermüdlichen Einsatz gegen die brutalen Verbrechen, die seine Stadt immer wieder heimsuchen, Gefahren heraufbeschwört, die nicht nur ihn, sondern sein ganzes freundschaftliches und familiäres Umfeld bedrohen? Und was hat es eigentlich mit dem proteischen Adligen und Burgherren Ramiro Alvar auf sich, der eine traumatische Familiengeschichte zu verarbeiten hat und zurückgezogen in seinem Turm wohnt, von dem aus auch der anonyme Autor des Romans sein Manuskript versendet haben muss?

Auch wenn es die Autorin mit der wahrlich dichten Häufung höchst dramatischer Verwicklungen vielleicht etwas übertreibt und die Kriminalgeschichte eine zwar geschickt konstruierte, psychologisch jedoch nicht völlig überzeugende Auflösung hat, ist ihr für ihre Trilogie, deren eigenwillige Hauptfiguren einem ans Herz gewachsen sind, auf jeden Fall ein fulminanter Abschluss gelungen, der einige Stunden oder Tage höchst spannungsreichen Lesegenuss bereitet.

Bibliographische Angaben
Eva García Sáenz: Die Herren der Zeit, Fischer (2020)
Aus dem Spanischen von Alice Jakubeit
ISBN: 9783651025851

Bildquelle
Eva García Sáenz, Die Herren der Zeit
© 2020 Fischer Scherz in der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt / Main

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